Prof. Dr. Ernst Berl (1877-1946) war von 1932 bis August 1933 Mitglied des RC Darmstadt.

Berl stammte aus der Familie eines deutsch-jüdischen Sägewerksbesitzers in Freudenthal (Österreichisch-Schlesien). Er studierte bis 1898 Chemie an der TH Wien und wurde Chemie-Ingenieur. Nach dem Wehrdienst setzte er sein Studium in Zürich fort, wurde dort 1901 promoviert und 1904 habilitiert. Er arbeitete dort mit renommierten Professoren zusammen, u.a. mit Alfred Werner, der 1913 den Chemie-Nobelpreis erhielt sowie mit Georg Lunge, dem Direktor des technisch-chemischen Laboratoriums des Eidgenössischen Polytechnikums. Als dieser 1907 erkrankte, übernahm er dessen Vertretung, erhielt sodann einen Ruf an die TH Bergen in Norwegen. Berl entschied sich gegen die wissenschaftliche Karriere und wurde 1910 Chefchemiker in einem weltweit führenden Unternehmen für Kunstseide in Tubize/Belgien. 1912 heiratete er, das Ehepaar hatte zwei Söhne. Im Ersten Weltkrieg diente er als leitender Chemiker in der Explosivstoffabteilung des österreichisch-ungarischen Kriegsministeriums und stand an der Spitze der Munitionsindustrie.

1919 nahm er den Ruf der TH Darmstadt auf eine Professur und die Leitung des Instituts für chemische Technologie und Elektrochemie an. Berl gilt als Wegbereiter der modernen chemischen Technologie, mehrere seiner Veröffentlichungen wurden Standardwerke. Vor diesem Hintergrund, auch seines internationalen Ansehens, lag es nahe, dass er 1932 eingeladen wurde, Mitglied des RC Darmstadt zu werden.

Die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten empfand er, wie er 1933 schrieb, als „Erdbeben“. Um bewusst seiner Entlassung zuvorkommen, reichte Berl Anfang April sein Rücktrittsgesuch ein und suchte gezielt nach alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten im Ausland. Seine schon seit einem Vortragsbesuch 1924 in Pittsburgh/Pennsylvania bestehenden guten Kontakte mit dem dortigen Carnegie Institute of Technology verhalfen ihm zu einem Ruf auf eine Forschungsprofessur, die er im September 1933 antrat. Zwar ging er damals noch davon aus, dass er nach einiger Zeit zurückkehren werde, blieb letztlich aber bis zu seinem Lebensende dort. 1938 stellte er für sich und seine Familie einen Einbürgerungsantrag, wurde 1939 Amerikaner und beriet während des Krieges die Regierung in seinem Fachgebiet. Seine Mitgliedschaft im RC Darmstadt endete durch „Austritt“, wie die Akten notieren; tatsächlich kam er auch damit seinem Ausschluss zuvor.

Aus der Phase seiner Rücktritts 1933 bleibt besonders erwähnenswert, dass seine Schüler, Mitarbeiter und befreundete Wissenschaftler sich auf für die damalige Zeit außergewöhnliche Weise öffentlich für den Verbleib Berls in Darmstadt einsetzten. Berl blieb bei seiner Entscheidung, die Verbindungen zu den Schülern lebten nach dem Krieg wieder auf. Sein ehemaliges Institut trägt heute seinen Namen.

Dass Berl mit seiner Familie emigrieren konnte, sah er im Rückblick als Glücksfall an, denn 12 von 16 seiner Familienmitglieder wurden in Konzentrationslagern umgebracht.

© empfohlene Zitierweise: Hermann Schäfer, „Ernst Berl“, in: Rotary unter dem Nationalsozialismus. Digitales Gedenkbuch diskriminierter Rotarier [Onlinefassung Stand Mai 2022]; URL: https://memorial-rotary.de/members/601